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Aus der Festschrift des SV Steinbach zum 70. Jubiläum:

 

Chronologie der Sportkontakte zu den Sportfreunden aus Borsch

Autor: Berthold Helmke 1990

 

Stationen der deutschen Wirklichkeit in der Nachkriegszeit auf unterer Sportebene

 

1.      Fühlungnahme

 

Nach dem zweiten Weltkrieg liegt Deutschland in Ost und West in Trümmern. Aus den drei westlichen Besatzungszonen entsteht die Bundesrepublik Deutschland, die nach der Währungsreform im Jahre 1949 prosperiert. Aus der sowjetischen Besatzungszone, der Thüringen im Tausch gegen Berlin (West) zugeschlagen wird, entsteht die DDR, der erste sozialistische "Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden", lange Jahre im Westen mit dem Gefühl der Beklemmung, aber auch der Ohnmacht und des Mitleides als Ostzone oder "arme Russenzone" bezeichnet. Der Weg unserer Landsleute zu Freiheit und Wohlstand war ungleich schwerer.

 

Der Sportbetrieb kommt nach dem zweiten Weltkrieg langsam wieder in Gang. Im Zuge des kalten Krieges wird die Demarkationslinie, von den Kommunisten als "Staatsgrenze West" bezeichnet, zum Eisernen Vorgang, immer dichter, zuletzt sogar mit Todesschussautomaten ausgerüstet, lebensgefährlich und unüberwindlich.

 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland trat am 24.05.1949 in Kraft, die Verfassung der DDR am 07.10.1949. Damit war die Spaltung Deutschlands vollzogen und sie verfestigte sich. In unserer Heimat begann die Wirklichkeit  diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, die die Verbindungen auf allen Gebieten zunehmend kappte. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wurde das Besatzungsstatut der westlichen Siegermächte am 05.05.1955 aufgehoben und die Bundesrepublik Deutschland erlangte hierdurch ihre Souveränität.

 

In dieser Zeit wendet sich die "Sportgemeinschaft Borsch/Rhön, Kreis Bad Salzungen" mit Schreiben vom 06.02.1955 an den Sportverein Steinbach in Hessen, und sie bringt den Wunsch nach einem Freundschaftsspiel zum Ausdruck.

 

1.      Die erste Sportlerbegegnung Borsch/Steinbach

2.      am 11. u. 12.05.1957 in Steinbach

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Seit der ersten Kontaktaufnahme sollte es noch mehr als zwei Jahre dauern, bis die ideologischen und bürokratischen Hindernisse für die Reise der Sportler aus Thüringen überwunden waren. Dann war es endlich so weit. Die beiden Briefe der "BSG Aktivist Sportgruppe Borsch/Rhön vom 01.04. u. 05.04.1957 an den SV Steinbach spiegeln in bemerkenswerter Weise die politische Großwetterlage wieder, und sie zeigen auch, wie weit die Gängelung der Menschen im anderen Teil Deutschlands ging und wie wenig unsere Sportfreunde aus Borsch davon hielten.

Brief der „BSG Aktivist“ Borsch vom 1.4.1957

Brief der „BSG Aktivist“ Borsch vom 5.4.1957

 

 

 

 

 

 


Bild 03

Sportlerbesuch aus dem
Geisaer Land
11/12.05.1957

 

 

 

 

 

Der Besuch der Sportler aus Borsch wurde trotz der Kaderbegleitung von SED-Funktionären zu einer jener Kleinigkeiten, die die Einheit von Sprache, Kultur und Nation förderten.

 

Die Fuldaer Zeitung berichtete über den Besuch der Borscher Sportler in Steinbach:

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Zeitungsartikel 04

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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3.      Gegenbesuch der Steinbacher in Borsch am 03. und 04.08.1957

 

Als die Steinbacher mit dem Bus anreisten, wurden sie schon an der Grenze in Wartha empfangen, und die Borscher bereiteten einen herzlichen Empfang. Die beiden Tage wurden für die Teilnehmer auf beiden Seiten ein unvergessliches, gemeinsames Erlebnis, so dass die Erinnerung hieran über Jahrzehnte wachbleiben konnte. Im Vereinsarchiv des SVS befindet sich noch heute die Originalteilnehmerliste und das Originalplakat, das die Veranstaltung in Borsch ankündigte. Höhepunkte der Besuchstage waren das Freundschaftsspiel zwischen den beiden ersten Mannschaften der Vereine und die abendliche Tanzveranstaltung im Gasthaus Klemm. Bemerkenswert ist auch das "gesamtdeutsche Gespräch", das im Anschluss an den Gottestdienst im Gasthaus Wiegand stattfand. Die von den Machthabern in Ostberlin verfolgte Politik der Abrenzung sollte bald zeigen, dass gesamtdeutsche Gespräche und Kontakte über mehr als 30 Jahre unerwünscht werden sollten. Der Bau der Berliner Mauer am 13.08.1961 ist ein Markstein dieser Entwicklung, die ein weiteres Freundschaftsspiel zwischen beiden Mannschaften als utopisch erscheinen ließ. So war es nach anfänglichem, vereinzeltem Briefkontakt nicht verwunderlich, wenn die Verbindungen fast völlig abrissen. Nur hier und da über Verwandte und zwei Ex-Borscher, die nach der Flucht in Steinbach ihre neue Heimat fanden, drangen Nachrichten aus dem 5-km-Sperrbezirk in den Westen.

 

 

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4. Die Beziehungen werden nach 30 Jahren wieder geknüpft

 

a)     Der erste Schriftverkehr

 

Brief 05

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Brief 06

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Die geplante offizielle Sportbegegnung, die von beiden Vereinen bei den jeweiligen Sportverbänden angemeldet und im Rahmen des sog. Spitzengespräches des DSB und des DTSB vereinbart werden sollte, scheiterte. Eine persönliche Fühlungnahme war nur auf privater Ebene im Rahmen des sogenannten kleinen Grenzverkehrs möglich und so kam es im Oktober 1987 zu einer ersten, mit Spannung erwarteten Begegnung zwischen  Abordnungen beider Vereine. Eine Einreise nach Borsch in die Sperrzone war ausgeschlossen und so blieb den Sportlern aus Borsch nichts anderes übrig, als mit großer Gastfreundschaft ein Besuchsprogramm im Inneren der "DDR", die so ganz anders, unbekannt aber doch nicht fremd war, zu organisieren. Suhl und Oberhof in jenen Tagen waren Stationen des ersten Kennenlernens.

 

Die Kontakte vertieften sich, als Borscher im Rahmen von zum Teil fingierten Verwandtenbesuchen in Steinbach weilten und als weitere Sportler in kleineren Gruppen Borscher in der DDR trafen.

 

Als sich der "östliche" und "westliche" Autokorso anläßlich der Heimreise vor dem Sperrgebiet  und der in den Westen führenden Straße trennte und die Borscher mit Hupen und Lichtzeichen abschwenkten, hatte es sich in den Köpfen festgesetzt, dass notfalls auch gegen den Widerstand  der DDR-Behörden ein Freundschaftsspiel alsbald stattfinden  muss. In jenen Tagen spürte man das Knistern in der Werteordnung der sozialistischen DDR ohne auch nur zu ahnen, dass der SED-Staat schon so bald an den eigenen Widersprüchen zwischen Realität und Anspruch zusammenbrechen würde.

 

 

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b)     Das inoffizielle Freundschaftsspiel der Alte Herren

am 09.07.1988 in Christes/Bezirk Suhl scheitert

 

In persönlichen Gesprächen und verklausulierten Schreiben vorbereitet, sollte es doch gewissermaßen spontan im Rahmen einer Reise mit einer großen Gruppe des SVS am 09.07.1988 zu einem echten Freundschaftsspiel auf dem Waldsportplatz in Christes kommen.

 

Brief 07

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Telegramm 08

Am Abend vor der
geplanten Fahrt traf

ein Telegramm aus
Borsch ein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Die Staatssicherheit der DDR hatte die Freunde aus Borsch unter Druck gesetzt und das an sich harmlose Treffen war nunmehr brandheiß und wurde als staatsfeindlich gebrandmarkt. Diese Nachricht verbreitete sich in Steinbach in Windeseile. Trotzdem entschloss sich eine kleinere Gruppe doch nach Eisenach zu fahren. Schon an der Grenzübergangsstelle Wartha/Herleshausen wurde der Steinbacher PKW-Konvoi von einem Beobachter des Stasi gesichert und begleitet, so dass das Treffen mit einigen Borscher Sportlern sozusagen im Schatten des Stasi ohne Fußballspiel und geändertem Touristikprogramm unauffällig abgewickelt werden musste.

 

 

Bild 09 Gruppenbild vom 09.07.1988 in Oberhof

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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4.      Die überraschende Wende der friedlichen Revolution im November 1989

 

 

Als die Medien am Abend des 09.11.1989 völlig überraschend den Wegfall der Reisebeschränkungen für die Bürger im anderen Teil Deutschlands bekanntgaben, verfolgte der in Steinbach weilende Sportfreund Reinhold Wehner, der im Jahre 1957 schon das Tor der Borscher Mannschaft gehütet hatte, das Geschehen zusammen mit Steinbacher Sportfreunden am Fernsehgerät. Für ihn war die Realität noch unfassbar. Schon am darauffolgenden Sonntag öffnete der Eiserne Vorhang  den Übergang Vacha/Philippstahl und die Borscher Sportfreunde setzen das in vielen Gesprächen vorher für unmöglich gehaltene Vorhaben in die Tat um und erschienen nach dem Gottesdienst zum Frühschoppen im Vereinslokal Ludwig. Zu ihrem umfassbaren Erstaunen hatten sie die an sich lächerliche Entfernung von 15km Luftlinie, eine zuvor fast überseeische Dimension ohne Weiteres überwunden. Als die Sektkorken knallten, war dies nur scheinbar unwirklich, unklar ob Traum oder Wirklichkeit. Die DDR erschien in Auflösung begriffen. Trabbikaravanen tuckerten gen Westen und erkundeten von einer Welle der Begeisterung gefeiert, ihr unbekanntes, anderes Vaterland. Die Borscher Sportler hatten eine feste Anlaufadresse. Schon am Abend kamen sie, um nach dem Heimspiel des SVS gegen Dittlofrod im Sportlerhaus gemeinsam zu feiern.

 

 

Zeitungsartikel 10

 


Die Öffnung der Heimatgrenze zwischen Rasdorf und Buttlar in den frühen Morgensstunden des 18.11.1989 wird ein unvergessenes Ereignis bleiben, das Sportler aus Steinbach und Borsch gemeinsam erleben konnten. Das Tempo der nicht für möglich gehaltenen Entwicklung war atemlos. Schon am Vormittag der Öffnung des Grenzübergangs Buttlar/Rasdorf stiegen einige Borscher Sportfreunde  in den Bus, um das Bundesligaspiel in Dortmund gegen Bayern München mitzuerleben.

 

 

 

 

 

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                                                                       Zeitungsartikel 11

 


Die Fuldaer Zeitung erschien
an jenem denkwürdigen
Samstag, den 18.11.1989
in den frühen Morgenstunden
mit einer Sonderausgabe, die
am neueröffneten Grenzüergang
zwischen den Grenzzäunen
verteilt wurde.Die FZ berichtete
sozusagen im Vorgriff
auf die bevorstehende Fahrt
zu dem Bundesligaspiel wie folgt:

 

 

 

 

 

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5.      Großes Begrüßungsfest im DGH Steinbach am 02.12.1989

 

Kurz entschlossen und als einer der ersten Orte diesseits und jenseits der Grenze, bereiteten die Steinbacher und die Borscher sozusagen im Taumel der damals noch fraglichen Deutschen Einheit ein Riesen-Fest vor, um Bürger und andere Vereine einander näherzubringen.

 

 

Einladung 12

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Spontanität und Erfolg dieses Begrüßungsfestes werden in der Geschichte beider Orte wohl beispiellos bleiben.

 

 

Die symbolträchtige Ankündigung auf den schwarz/rot/goldenen Plakaten und das richtungsweisende Umtauschverhältnis 1:1 fand nicht nur in Borsch, sondern bei den Bürgern im gesamten Geisaer Land lebhafte Resonanz. Die Abkürzung "DGH Steinbach" wurde als "deutsches Gemeinschaftshaus" interpretiert. Ca. 1.500 Besucher aus Ost und West füllten das DGH weit über die vorhandenen Plätze hinaus und bescherten die Freude der Begegnung und einen Rekordumsatz.

 

 

 

Zeitungsartikel 13

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Zeitungsartikel 14

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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6.      Die Sportfreundschaft überdauert die erste Euphorie

 

Inzwischen, im Sommer des Jahres 1990 kehrt die Normalität und der Alltag mit allen Problemen bei der Überwindung  der jahrzentelangen Trennung ein. Bürger und Vereine beider Orte haben freundschaftliche Beziehungen geschlossen.

 

Zum Sportfest des BSG Landbau Borsch vom 01. bis 03.06.1990 waren die Steinbacher zu Gast und trugen Spiele mit ihrer ersten und AH-Mannschaft aus. Anläßlich des Jubiläums des SVS werden die Borscher in Steinbach zu Gast sein.

 

In einigen Jahren, so darf heute nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrages und der Währungsunion am 01.07.1990 angenommen werden, beginnt eine neue Qualität in den Begegnungen zweier Nachbarn in der Mitte eines vereinigten Deutschlands.

 

 

 

                        Zeitungsartikel 15

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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